Eine kleine Weihnachtsgeschichte, meines Wissens von Hans Held

Das doppelte Weihnachtsgeschenk

Es gehört zu den Wundern dieser Heiligen Nacht, daß die unerbittlichen Gesetze der Natur, unter denen alle Wildtiere leben, in dieser Nacht keine Gültigkeit haben. Obwohl die einen als tödliche Feinde der anderen leben und sterben müssen, achten sie doch alle den weihnachtlichen Frieden und sind trotz der Verschiedenheit ihrer Arten gut zueinander.

Ein kleiner Hund aber gehört zu den Menschen, und er ist, wie alle Haustiere, deren hartherziger Willkür ausgeliefert, oder er genießt ihre liebevolle Fürsorge.
So wie die Waldtiere war auch das Schicksal heute in weihnachtlicher Stimmung. An dem kleinen Hund war sicher vieles gutzumachen, und das sollte schnell geschehen! - So leitete es zunächst einen guten alten Esel auf seinem Wege durch den Winterwald zu unserem kleinen Tannenbaum. Der Esel zog einen Schlitten hinter sich her, und auf dem Schlitten saß in warme Decken eingewickelt ein Mann.

Als der Esel vor dem Lager anhielt, machte der kleine Hund die Augen weit auf. Er war jetzt hellwach. Die Waldtiere waren wie durch einen Zauber verschwunden, als ob es sie gar nicht gegeben hätte. Auch das Leuchten hatte aufgehört. Jetzt war ein warmer Lichtschein da. Eine flackernde Laterne steckte am Schlitten; sie beleuchteten den Esel und den großen Mann, der sich nun aus den Decken pellte und vom Schlitten herabgeklettert kam......

Der kleine Hund war nicht bange vor dem fremden Mann und dem großen grauen Tier, obwohl er es noch nie gesehen hatte. Sein wunderbares traumhaftes Erlebnis mit den Waldtieren klang in ihm nach, so daß er auch jetzt nur Liebe und Güte erwartete, und diese Erwartung sollte sich erfüllen! Sein Schicksal hatte ihm eine Weihnachtsbescherung zugedacht, die sein ganzes ferneres Leben bestimmen sollte......

Warm in Decken gekuschelt fuhr der Kleine auf dem Schoß des großen Mannes in dem Eselschlitten mit lustigem Schellengeläut davon - dem nächsten Wunder nach seiner Rettung entgegen:
Plötzlich hielt der Esel den Schlitten an. Am Wege saß zitternd und erschöpft ein Hund im tiefen Schnee. Auch dieser Findling wurde aufgeladen, und dabei erlebte der gute Mann etwas Erstaunliches. Ein jubelndes Freudengebell machte ihm schnell klar, daß er hier am Straßenrand die Mutter des Hundekindes gefunden hatte! Die arme Hündin war aus der Tür gesprungen, als die Lumpensammlerin ihre Hütte betrat. Stundenlang hatte sie ihr Kind vergeblich gesucht. Schließlich war sie - am Ende ihrer Kräfte - zu dem Waldweg gegangen, als ob etwas Unsichtbares sie führte .....

So kam der Mann mit zwei glücklichen Hunden zu seinem hübschen Haus am Rande einer Lichtung. Hier erlebte unser Hundekind noch einmal seinen Traum im Walde, aber jetzt war es eine wunderbare Wirklichkeit. Drinnen war alles zum Weihnachtsfest vorbereitet.
Ein Duft von Lebkuchen und einem leckeren Festessen durchzog die mollig warmen Räume. Im Wohnzimmer strahlte der geschmückte Tannenbaum im Schein unzähliger Lichter.

Zu der Familie, in der unsere glücklichen Hunde in jener Weihnachtsnacht für immer herzlich aufgenommen wurden, gehörten außer dem Mann eine sehr tierliebe Frau und Mutti und zwei Kinder; ein Mädchen und ein Junge. Die Geschwister wurden die Gespielen unserer Findlinge. Sie fühlten sich durch den Familienzuwachs reich beschenkt, und unsere Hunde empfanden es sicher ebenso. Das doppelte Weihnachtsgeschenk führte zu vielen sehr heiteren und komischen Geschichten.




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© Eva-Maria Schubert-Laudenklos